Die Stadt – dein Spiegel Klagenfurt ist eine Stadt. Sie wurde heuer 500 Jahre alt. Das wiegt vielleicht nicht sehr viel angesichts der historischen und mythischen Dimensionen des zeitlosen Archetypus „Stadt“. Und doch, auch in Klagenfurt vollzieht sich tagtäglich der archetypische Ritus „Stadt“, ein Ritus, der der menschlichen Seele eingeschrieben ist, so wie er sich immer und überall vollzieht, vom Turmbau von Babel über die „hochgebaute Stadt“ Jerusalem bis zu der Vision des „himmlischen Jerusalem“ jenseits von Raum und Zeit. Dazwischen vollzieht sich der Ritus in den Städten der antiken Welt: Athen erfindet die Philosophie des Abendlandes und mit ihr die Empfindung für intellektuelle Redlichkeit; Rom, die „ewige Stadt“, auch sie ein urbaner Archetypus im Spannungsfeld zwischen mörderischem Moloch und himmlischer Ordnung, zwischen Blutorgien und dem Völkerfrieden der „Pax Romana“ hat uns gleichwohl seine Erfahrung mit politischen Systemen vererbt. Rom, vergessen wir es nicht, ist zur Mutter des Rechtsstaates geworden. „Stadt“, das ist ein mächtiger Archetypus in der Kulturgeschichte der Menschheit: nach ihm wurde Mohendjo Daro im Industal errichtet, Angkor in Kambodscha, Beijing und Nara, Tenochtitlan und Washington, Brasilia, Konstaninopel, alle Städte auf dem Globus. Ja, auch Klagenfurt ist eine der zahllosen Erscheinungsformen dieses Archetypus. Keine Stadt kann außerhalb der Urform erbaut werden, sämtliche urbanistische Experimente sind in derselben eingeschlossen, sogar ihr Scheitern. Der Archetypus allerdings ist von Anfang an ein zweideutiger und alle Städte schließen damit einen unaufhebbaren Antagonismus in sich ein. Um diesen darzustellen, dürfen wir auf eine alte, wohlbekannte orientalische Geschichte zurückgreifen, die so oder so in allen Zivilisationen wiederkehrt, weil er der menschlichen Psyche entspringt. Vertrauen wir ruhig dieser alten Geschichte, wenn wir über die „Stadt“ reden. Also: Im Anfang lebten die Menschen im Paradies. Das Paradies, das ist ein köstlicher Garten, von vier Strömen durchflossen, die Bäume tragen überreiche Frucht, der Löwe lagert neben dem Lamm, die Menschen sind nackt, es gibt kein Raum-Zeit-Kontinuum, es gibt vor allem keinen Tod. Weil es daher Vergänglichkeit gibt und keine existenzielle Gefahr, gibt es keine Stadt im Garten Eden. Und dann muss, so berichten uns die Ursprungsmythen sämtlicher Bevölkerungen, etwas Entsetzliches passiert sein: in unserer jüdisch-christlichen Tradition hat diese Katastrophe einen Namen: den Sündenfall und damit die Vertreibung aus dem Paradies. Mit einem Male waren sie da, die Unannehmlichkeiten, denen wir Tag für Tag, also im unserem Raum-Zeit-Kontinuum, dem Käfig unseres Existenz begegnen: Wir müssen im „Schweiße unseres Angesichtes arbeiten“, jede Geburt ist Vorwegnahme des Sterbenmüssens, die Welt, die ursprünglich schuld- und leidlose Natur ist sich selbst und dem Menschen feindselig geworden. Der Mensch bekommt es mit neuen Gefühlslagen zu tun, mit der Angst vor dem Tode und vor der Isolation in einer mitleidlosen Umwelt. Der Rückweg ins Paradies ist ihm verwehrt und was die Zukunft birgt, bleibt ihm verschlossen mit sieben Siegeln. Auf der Suche nach dem, was er am meisten vermisst, nämlich nach Sicherheit, Geborgenheit, Dauer, erbaut er sich DIE STADT. In unserer orientalischen Geschichte heißt diese erste, von Menschenhand errichtete Stadt „Babel“. Im ökonomischen Sinne dürfte dieses rätselhafte Babel wohl perfekt funktioniert haben, es häufen sich die Reichtümer, Handwerk und Handel florieren, eine Erfolgsstory würden wir heute sagen. Freilich, das eigentliche Problem ist geblieben und kein Erfolg vermag es zu lösen: die Fatalität „Vergänglichkeit“, die Fatalität „Tod“, die Fatalität „Leid“; auch sie haben sich in der Stadt eingenistet und danach nicht mehr aus der Stadt vertreiben lassen. Was tun? fragte einst Lenin und kam, dunkle Ironie der menschlichen Psyche, so wie die Bewohner Babels auf die Idee, den seit dem Sündenfall verschlossenen Himmel, das „Paradies“ zu erstürmen. Mit revolutionärer Gewalt. Die städtischen Behörden Babels kommen in ihrer erfolgsgewohnten Hybris überein, einen Turm zu bauen, er sollte bis in den Himmel reichen und den Schöpfer vom Throne stürzen. Die besten Architekten planen, die kunstfertigsten Maurer setzen Stein auf Stein. Zu sehen auf dem phantastischen Gemälde des Pieter Brueghel im kunsthistorischen Museum zu Wien. Wir kennen die Folge des babylonischen Baubooms : der Himmel lässt sich die Provokation nicht gefallen und zerstört das beinahe schon fertige Bauwerk. Exemplarisches Beispiel des Scheiterns eines urbanistischen Experiments. Und, die Bewohner der Stadt, die sich ursprünglich in einer Sprache verständigten, verstehen plötzlich einander nicht mehr; sie zerstreuen sich über die ganze Erde; die Pläne und die Konzepte zu ihren gigantomanischen Projekten haben sie aber mitgenommen… Deren Spuren lassen sich bis heute unschwer nachweisen, etwa in den Turmbau-Planungen der sowjetischen Moderne, im absurden Projekt „Groß-Berlin“ des Albert Speer mit seiner weit in die Wolken reichenden Kuppel der „Großen Halle“, im Modell der „Führerstadt“ Linz, sogar im wahnsinnigen Plan immerhin eines Le Corbusier, halb Paris niederzureißen und an Stelle der gewachsenen Stadt eine Reihe, ja, babylonischer Türme in den Himmel wachsen zu lassen… Überall stellen wir hier, wenn wir genauer hinschauen, ein durchaus umgekehrtes religiöses Bestreben fest, den Himmel zu revolutionieren; aus Rache gegen die Vertreibung aus dem Paradies. Der oben genannte Lenin beteuert zwar, jeglicher religiöser Tradition abhold zu sein, aber er handelt doch wie die städtische Obrigkeit Babels in der Bibel… Aber bleiben wir im Orient, der Mutter unserer Kulturen. In Babels Hybris haben wir den einen Aspekt des Archetypus „STADT“ gesehen. Der andere Aspekt, der radikale Gegenentwurf zu Babel befindet sich westlich davon, in Judäa: Jerusalem, die „hochgebaute Stadt“. Sie ist, Ironie der Geschichte, gestern wie heute und morgen jener Ort geblieben, wo sich das Schicksal der Menschheit krisenhaft zuspitzt. Im Zentrum Jerusalems finden wir keinen im Aufruhr gegen den Himmel gerichteten Turm. Im Gegensatz zu Babel ist diese Stadt nicht übermäßig reich, dafür aber erhebt sich hier der wohl prächtige Tempel Salomonis, errichtet um die Bundeslade zu bergen, in der die Gesetzestafeln des Moses aufbewahrt sind, mit einem Worte das Grunddokument menschlicher Gesittung im Angesicht des Schöpfers. Und auf dem Golgatha-Hügel und im Gartengrab gleich daneben ereignet sich die ultimative Zeitenwende. „Surge, illuminare, Jerusalem!“ – „Auf, werde Licht, Jerusalem!“, heißt es bei Jesaias in der Bibel, aber diese Botschaft bezieht sich schon nicht mehr auf die seit Jahrtausenden umkämpfte Stadt im Nahen Osten, sondern auf die STADT nach dem Ende von Raum und Zeit. Das Jerusalem, das wir pilgernd besuchen oder touristisch erkunden können, ist freilich Vor-Bild, Hinweis auf die STADT in ihrer Vollendung. Wir wohnen indes in der Stadt Klagenfurt, die soeben ihren 500. Geburtstag gefeiert hat. Wir flanieren durch ihre Gassen, frequentieren den Benediktinermarkt – ach die Speck- und Mostorgien, die wir da feiern dürfen – wir nehmen ihre intimen Schönheiten fast nicht mehr wahr – auch nicht, dass diese Schönheiten nach und nach mutwilliger Zerstörung anheimfallen. Wir nahmen es hin, dass wunderbare Bauten vernichtet wurden und werden; gleichgültig schauten wir zu, dass etwa das Palais Rosthorn, ein exquisiter klassizistischer Bau, abgerissen wurde, oder dass die edle Barockkirche schräg gegenüber der Kapuzinerkirche einem Plattenbau à la DDR weichen musste. Dafür begeisterten wir uns für architektonische Monster wie dem Stadion. Dabei merken wir nicht, dass die Stadt Klagenfurt, wie alle Städte, das Spiegelkabinett seiner Bewohner ist und umgekehrt. Gestehen wir uns ein, auch, sogar in Klagenfurt fliegen uns noch noch Staubpartikel vom Ruin des Turmes von Babel in die Augen. Jochen Traar zeigt uns diese Stadt als das, was jede Stadt im Raum-Zeit-Kontinuum ist, als Spiegelkabinett. Ja, wir erblicken in seiner Installation die Umrisse seiner Umgebung, das Ferlacher Horn oder das Kreuzbergl, aber zwischen den graphischen Andeutungen der Natur schauen wir uns selbst in die Augen. Und draußen spielt uns ein Brunnen in Dauerschleife die Töne, Klänge vor, die uns beim Flanieren begleiteten und weiter begleiten werden, Schlager, klassische Musik, Geräusche; auch das spiegelt wieder, was wir sind, in dieser Stadt Klagenfurt. Zweifellos ist Klagenfurt weit davon entfernt, eine Erinnerung an das Paradies oder dessen Vorwegnahme zu sein. Ein Babel ist diese Stadt ebenfalls nicht. Sie ist ein Mischwesen zwischen Nostalgie und Hybris, Idylle – ach die Schwäne am See – ach der Lendkanal – und urbanistischem Brutalismus. Entlang der Sattnitz mag man sogar vermeinen, durch eine Art Paradies im Minimundus-Format zu wandeln. Auf der einen Seite das Stift Viktring, auf der anderen das Rothauer Hochhaus… In unserer orientalischen Geschichte ist uns verheißen, dass der Archetypus STADT sehr wohl seine Erfüllung finden wird. Nicht in Klagenfurt wahrscheinlich… In seiner Geheimen Offenbarung zeigt uns der Evangelist Johannes die Stadt unserer Sehnsüchte: „Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen und das Meer ist nicht mehr. Ich sah die heilige STADT, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat…“ Sodann schildert Johannes das Aussehen dieser goldenen, aber gleich einem ein Kristall durchsichtigen, kubischen Stadt inmitten eines neuen Paradieses. Über Jahrhunderte galt dieses Vor-Bild als Modell der Urbanistik und der Architektur. Die heilige Geometrie der Hagia Sophia als Zentrum von Konstantinopel, die Kathedralen Frankreichs, nicht weniger die Kirchen und Kapellen Kärntens stellen das Bestreben nach Vorwegnahme eines wieder zu erlangenden seligen Zustandes dar. Wie gesagt, alle Städte sind Mischformen, wo Babel und Jerusalem neben und durcheinander leben. Und das wäre doch ein Wunsch für die nächsten 500 Jahre Klagenfurt: etwas mehr Himmlisches Jerusalem, etwas weniger Babel. Wenn´s irgendwie geht… Damit wir uns nicht fürchten müssen, wenn wir uns in Jochen Traars Spiegeln wiedererkennen. Bertram Karl Steiner

 

 

 

 

 


paint it black
Alpen-Adria-Galerie, Klagenfurt
Ausstellungsansichten

ORF Beitrag

Sound der Installation

Soundartist Aki Traar